Nürnberg trotz(t) Corona: Endlich wieder Live-Kultur!

Folge 3: „Kultur vor dem Fenster“, Fürth, Nürnberg und Erlangen

Auftritt der Kapelle Rohrfrei
Auftritt der Kapelle Rohrfrei
© 2020 Kultur vor dem Fenster

15.10.2020, Lisa Schürmann

Die Metropolregion im Corona-Frühjahr 2020: Alle Veranstaltungen und Feste sind abgesagt. Kulturschaffende bangen um ihre Zukunft. Während sich Künstler*innen weltweit nur per Video-Stream präsentieren, ist Fürth die erste Stadt Deutschlands, in der Live-Kultur wieder erlebbar wird. Zu verdanken ist das Marc Vogel und seiner Idee eines „kulturellen Pizza-Lieferservice“. Gemeinsam mit Katja Lachmann betreibt der Fürther Künstler „Kultur vor dem Fenster“. Das Web-Portal bringt Musik, Gaukelei und viel Lebensfreude in fränkische Gärten und Hinterhöfe.

Katja Lachmann und Marc Vogel in Aktion. Der Artist, Jongleur und Feuerkünstler organisiert die Künstlergruppe „Un Poco Loco“ und den Fürther Mittelalter-Weihnachtsmarkt.
© 2020 Uwe Groschupp

In den letzten Monaten gab es in immer mehr gesellschaftlichen Bereichen Lockerungen. Gleichzeitig wächst die Angst vor steigenden Corona- Infektionen und einem zweiten sogenannten Lockdown. Wie geht es der Kultur in der Metropolregion?
Die letzten Monate waren absolut verheerend für uns Kulturschaffende. Viele Existenzen stehen auf dem Spiel. Das gilt nicht nur für die Künstlerinnen und Künstler, sondern auch für Menschen in Event-Agenturen, Bühnen-Technik, Karten-Verkauf etc. An der Kultur hängt ein großer Rattenschwanz von Arbeitsplätzen. Noch immer gibt es 80 bis 90 Prozent weniger Kultur als vor Corona. 

© 2020 Kultur vor dem Fenster

Ein persönliches Beispiel: In den letzten Jahren war es mir kaum möglich, im Dezember mal zwei bis drei Tage frei zu machen. In diesem Dezember habe ich erst zwei Auftritte im Kalender stehen, und auch da ist nicht sicher, ob sie letztlich stattfinden dürfen.

In dieser Situation ermöglicht euer Web-Portal „Kultur vor dem Fenster“ freischaffenden Künstler*innen Möglichkeiten für Auftritte. 
Wir sind quasi eine Strukturfördermaßnahme für Kulturschaffende. Auf unserer Webseite finden Interessierte sowie Künstlerinnen und Künstler kostenfrei und unkompliziert zusammen. In der momentanen verheerenden Lage ist das aber nur ein kleiner Baustein. Umfangreiche politische Maßnahmen sind dringend nötig, um die Kulturszene zu retten.

Wann und wie ist „Kultur vor dem Fenster“ entstanden?
Die Idee kam mir Ende März, gut eine Woche nach Beginn des sogenannten Lockdowns. „All die Menschen in den kleinen Stadtwohnungen, die kriegen doch die Krise“, dachte ich. Auf dem Weg zum Supermarkt sah ich viele Menschen auf ihren Balkonen sitzen und war sicher: „Das ist unser Platz zum Spielen!“

Im Fürther Kulturamt stieß ich mit der Idee auf offene Ohren: Wir wollen Kultur in die Hinterhöfe, vor die Altenheime, Pflegeeinrichtungen und Mietshäuser bringen. Erste Auftritte mit Gauklerei und Musik haben Hannes Bernklau von „The Rockin' Lafayettes“ und ich im kleinen Rahmen gemacht. Wir hatten gleich ein positives Presse-Echo. Das Interesse war groß. 
Gemeinsam mit Kulturamt, Ordnungsamt und Polizei haben wir dann ein Regelwerk erstellt, um das Ganze auf vernünftige Füße zu stellen. Es gab so einige bürokratische Hürden, aber letzten Endes war Fürth die erste Stadt in Deutschland, in der Live-Kultur offiziell wieder möglich wurde. 

Ihr seid dann schnell gewachsen. Inwieweit hat das Digitale dabei eine Rolle gespielt?
Unsere Künstlerkollegen in Nürnberg waren begeistert: Das wollen wir auch! Auch andere Städte zeigten Interesse. Wir standen vor der Frage: Wie können wir das Web-Portal erweitern? Zum Glück war mittlerweile Katja Lachmann mit im Boot. Sie ist nicht nur Künstlerin, sondern auch Webentwicklerin. Ohne ihr digitales Know-How wäre das Projekt so nie möglich gewesen. Als zweite Stadt ging bereits am 21. April Landshut online. 

Habt ihr auch auf Social Media gesetzt, um bekannt(er) zu werden?
Erstmal gab es viel „Klassische Akquise“: Telefonate, E-Mails an die zahlreichen bayerischen Kulturämter. Unsere sehr aktive Facebook-Seite kam als Bonus dazu. Und natürlich haben auch anderswo Künstlerinnen und Künstler online nach Möglichkeiten für Auftritte gesucht. Da sind einige über unsere Webseite auf uns aufmerksam geworden und haben ihren Kulturämtern vor Ort gesagt: Sowas wollen wir auch!

Das Digitale war also eine super Möglichkeit, gefunden zu werden und zu zeigen, was es bei uns alles gibt. Ohne direkte Mund-zu-Mund-Propaganda wäre es jedoch nicht gegangen. 

Die Zeiten der strikten Ausgangsbeschränkungen sind momentan (noch) vorbei. Ihr habt auf die neuen Bedingungen reagiert und euer Web-Portal weiter entwickelt …
Mit „Kultur im kleinen Kreis“ möchten wir Auftritte bei kleinen Privatfeiern ermöglichen. Ein zugegeben schwieriges Unterfangen, da sich die Corona-Situation und die Bestimmungen ja täglich ändern können. 
Doch an den Zugriffszahlen unseres Portals sehen wir: Die Menschen schauen regelmäßig vorbei. Das Interesse ist noch da. Es ist mittlerweile ein toller Pool mit Künstlerinnen und Künstlern aus der Metropolregion und anderen Städten entstanden.   

Was sind eure Pläne für die nächsten Monate? 
Momentan sind wir mit den Kulturämtern aus Fürth, Nürnberg und Erlangen im Gespräch. Unser Ziel ist, aus den drei Stadtportalen ein gemeinsames Portal für den Großraum zu entwickeln. In der technischen Umsetzung wird das in einem späteren Schritt auch heißen, die Sortierung noch nutzerfreundlicher zu machen und so weiter. 

Künstlerin Anne Devries schwingt die Fackeln.
Künstlerin Anne Devries schwingt die Fackeln.
© 2020 Henrik Kaalund
SOS Kunstgebung
© 2020 Martin Cernan

S.O.S Kulturbranche "Kunstgebung"

”Winter is here! S.O.S. Kulturbranche!“ Unter diesem Motto laden Künstler*innen aus Franken am Montag, den 19. Oktober 2020 zu einer „Kunstgebung“ nach Nürnberg.

Mit dabei sind namhafte Künstler*innen aus der Region wie Viva Voce, Matthias Egersdörfer, TBC und Ines Procter von der „Fastnacht in Franken“.

Start der kreativen Protest-Kundgebung ist um 17:30 Uhr auf dem großen Parkplatz vor der Meistersingerhalle. 

Und was ist in „Nach-Corona-Zeiten“? Hat „Kultur am Fenster“ eine Zukunft?
Klimawandel und Nachhaltigkeit sind die Themen unserer Zeit. Wir denken, dass es in den nächsten Jahren eine Rückbesinnung auf regionale Produkte und auch Dienstleistungen geben wird. Unsere Metropolregion hat eine bunte und lebendige Kulturszene. Perspektivisch wollen wir mit einem gemeinsamen Portal für den Großraum rund 200 Kulturschaffenden eine Bühne bieten – samt einfacher Kontaktmöglichkeit zwischen Publikum und Künstler. 

Außerdem bringt unser Web-Portal gerade älteren oder in ihrer Bewegung eingeschränkten Menschen Kultur direkt vor die Haustür. Das ist ein innovatives Projekt, das auch nach Corona spannend ist!

Gab es für dich persönlich in den letzten Monaten ein besonderes Erlebnis?
Gerade bei den allerersten „Kultur vor dem Fenster“-Geschichten gab es eine wahnsinnige Resonanz. „Endlich mal wieder richtig Musik hören. Endlich mal wieder so etwas wie Gemeinschaft spüren“: Das waren zwei von vielen begeisterten Rückmeldungen aus dem Publikum. 

Das hat mir viel Kraft gegeben. Diese Atmosphäre hat mich motiviert weiterzumachen, auch wenn ich mit „Kultur vor dem Fenster“ kaum Geld verdiene und es mich viele Anstrengungen gekostet hat. 

"Kultur vor dem Fenster" online:

Über die Blogserie

Die Corona-Pandemie fordert uns weltweit heraus. Wer kann, bleibt in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen zu Hause. Währenddessen bangen kleine Firmen, Künstler*innen und Selbstständige um ihre Existenzen. Gemeinnützige Organisationen müssen auf den direkten Kontakt zu Mitmenschen verzichten. Mit Engagement, Kreativität und Mut stürzen sich nun viele ins Digitale. Diese Blog-Reihe stellt Menschen aus Nürnberg und der Metropolregion vor. Sie alle trotzen Corona und kämpfen für ihre Träume.

Lisa Schürmann

Nordlicht in Franken. Liebt Blogging, Kommunikation, Meer, Web, … Menschen! Interesse: Wie verändert Digitalisierung unsere Gesellschaft?

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