Kreativität ist Regelbruch: Henning Beck über Denken in Zeiten von KI
Veröffentlicht am October 15, 2025
Mehr Input, weniger Überblick – und die Frage nach der Hoheit
Die digitale Welt beschleunigt unser Denken und lässt es zugleich an Grenzen stoßen. Informationsströme reißen nicht ab, Benachrichtigungen takten unseren Alltag. „Wir verarbeiten mehr Informationen als jemals zuvor“, sagt Dr. Henning Beck, „und wir können nicht unendlich viele Informationen gleichwertig bearbeiten oder effektiv multitasken.“
Der Reflex liegt nahe: Denkarbeit an Technik auslagern. Navigationsgeräte, Übersetzungsprogramme, an Kalendererinnerungen – und immer öfter KI. Doch er warnt vor einer bequemen Falle und zitiert Kant: „Ich habe es nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann.‘ Genau diesen Fehler dürfen wir nicht machen.“
Der Reflex liegt nahe: Denkarbeit an Technik auslagern. Navigationsgeräte, Übersetzungsprogramme, an Kalendererinnerungen – und immer öfter KI. Doch er warnt vor einer bequemen Falle und zitiert Kant: „Ich habe es nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann.‘ Genau diesen Fehler dürfen wir nicht machen.“
Wie wir Technik nutzen, ohne uns von ihr nutzen zu lassen
Henning Becks Position ist kein Kulturpessimismus, sondern eine Bedienungsanleitung fürs 21. Jahrhundert: Tools sollen entlasten, Entscheidungen bleiben menschlich.
„Die Kunst wird sein: Nicht zu abhängig von neuen Technologien zu werden – und diese gleichzeitig effektiv einzusetzen.“
Der Maßstab ist nicht, ob Maschinen schneller sind, sondern wo ihr Output in menschliche Zielsetzung, Widerspruch und Werte eingebettet wird.
Leicht verbinden, schwer erfinden
Gerade, dass das menschliche Gehirn nicht perfekt denkt, ist in Zeiten von ChatGPT und Co. laut Henning Beck seine Stärke. Er unterscheidet zwei Arten von Kreativität:
Die leichte Kreativität – Muster erkennen, Ideenlisten, Varianten – ist für große Sprachmodelle ein Heimspiel.
“Das leichte Problem der Kreativität besteht im Finden von Verknüpfungen. Steve Jobs nannte es „Creativity is just connecting the dots”. Finde 20 Verwendungsmöglichkeiten für einen Ziegelstein! Entwirf mir 20 Slogans für die neue Werbekampagne! Entwickle 20 neue Logos! Dieses Problem ist durch große Sprachmodelle gelöst.“
Die schwere Kreativität beginnt dort, wo Routinen enden:
„Brich absichtsvoll die Regeln, um etwas gänzlich Neues zu schaffen. Genau das wird die Nische des menschlichen Denkens in Zukunft sein.“
Historisch war das der Hebel für Neuerungen – in Kunst, Musik, Geschäftsmodellen.
Kritisches Denken als Betriebssystem
Künstliche Intelligenz kann heute analysieren, vorhersagen, sogar Texte schreiben, doch was bleiben dann noch unverzichtbare Fähigkeiten des menschlichen Gehirns? Henning Beck zählt eine Reihe kognitiver Praktiken auf, die Führung, Produkt und Alltag gleichermaßen betreffen:
„Fragen zu stellen, auszuprobieren, Regeln zu hinterfragen, kritisch zu überlegen, vom Ende her zu denken, uns selbst zu widersprechen, Ursachen zu verstehen, uns auf vollkommen neue Probleme einzustellen und das Unerwartete zu antizipieren. Kurzum: kritisch zu denken.“
Intelligenz ist nicht Denken
Ja, Maschinen übertreffen uns schon jetzt in Tests.
„In jedem Intelligenztest wird ein großes Sprachmodell besser sein als der Mensch. Aber denkt sie deswegen auch besser? Wohl nicht. Man kann auch ein inselbegabter Nerd mit einem IQ von 190 sein – und trotzdem im Leben nicht vorankommen. Denn Intelligenz ist nur ein Teilbereich unseres Denkens. Im Übrigen: Was Menschen wirklich ausmacht, ist das geplante Hinterfragen des Bestehenden. Deswegen bauen wir neuartige Werkzeuge und kommen auf Ideen. Kinder lernen die Welt nicht kennen, indem sie Regeln befolgen, sondern indem sie Regeln brechen. Das eine neue Generation der alten widerspricht, ist überhaupt die Ursache dafür, dass wir nicht mehr in einer Steinzeithöhle sitzen, sondern neugierig die Welt erkunden.“
Henning Beck spitzt zu:
„Würde eine KI-Firma wirklich ein Produkt bauen, das aktiv widerspricht, sich eigene Ziele setzt, bestehende Regeln bricht? Ich halte das für ein sehr schlechtes Produkt. Ich würde es zumindest nicht kaufen.“
Technologie als Denkbeschleuniger – wofür wir die Zeit nutzen
Historisch nutzen wir neue Werkzeuge, um mehr zu denken, nicht weniger.
„Noch nie haben Menschen neue Technik benutzt, um weniger zu denken, sondern mehr.“
Fähigkeiten wie Pferde aufzäumen oder mit Logarithmentafeln rechnen sind verschwunden – und das ist gut so.
„Die gewonnene Zeit nutze ich nicht, um faul in der Hängematte zu liegen, sondern um mehr Probleme zu finden und sie anschließend zu lösen.“
Genau hier liegt die Chance im Umgang mit KI: Tools für die leichte Ideenbreite, Menschen für Problemfindung und den strategischen Regelbruch.
Dr. Henning Beck hält am 20. Oktober im Rahmen der Digital Leadership Nürnberg im Museum für Kommunikation eine Keynote zum Thema „KI vs. Gehirn – besser denken in einer digitalen Welt“. Du möchtest dabei sein? Tickets gibt es HIER.
Dr. Henning Beck ist Neurowissenschaftler und Autor. Er studierte Biochemie in Tübingen und promovierte 2012 an der dortigen Graduiertenschule für Neurowissenschaften. Anschließend arbeitete er an der University of California, Berkeley und entwickelte für Unternehmen in der San-Francisco-Bay-Area moderne Innovationsstrategien. Heute publiziert er regelmäßig als Kolumnist für die WirtschaftsWoche, betreibt eine Videoserie für web.de und ist wöchentlicher Interviewgast beim Deutschlandfunk. Seine populären Bücher wurden in sieben Sprachen übersetzt und schaffen einen verständlichen Zugang zur Welt der Hirnforschung. In seinem aktuellen Buch „Besser denken“ zeigt er, welche Denkfähigkeiten besonders wichtig werden und wie man sein ein Denken zukunftsfest macht.
Bildnachweis: Hans Scherhaufer
Alina Laßen
Werkstudentin Marketing & Projektmanagement
NUEDIGITAL
Ähnliche Blogbeiträge
Programm Update | Stand 20.05.25
Seit dem 6. Mai ist das Programm für NUEDIGITAL 2025 live – und seitdem wird’s jede Woche voller, spannender und bunter! Wir stellen Dir hier die neuesten Events vor, die gerade erst ins Festival-Programm gekommen sind.
Veröffentlicht am May 20, 2025
Weiterlesen
Wie COAI Research aus Nürnberg die ethischen Grenzen der ...
Einblicke in die Arbeit von COAI Research: Das Nürnberger Forschungsinstitut widmet sich ethischen, gesellschaftlichen und technischen Fragen rund um Künstliche Intelligenz – mit Fokus auf Risiken, Governance und nachhaltiger Verantwortung.
Veröffentlicht am October 28, 2025
Weiterlesen