Die Welt im Zwiespalt – Wie weiter mit der Künstlichen Intelligenz?

26.06.2023, Peter Kührt 

War „KI“ noch vor kurzem ein abstraktes Phänomen bei der Konstruktion von Flugzeugen oder selbstfahrenden Autos, ist sie Ende 2022 mit dem textbasierten Chatbot „ChatGPT“ im Alltagsleben der Menschen angekommen. Seitdem überschlagen sich die Ereignisse. ChatGPT hat inzwischen Millionen User:innen, der Funktionsumfang wird immer größer, ähnliche Angebote und weitere KI-Anwendungen sprießen fast wöchentlich wie Pilze aus dem Boden. 

Gleichzeitig hat es aber auch nur wenige Monate gedauert, bis die Faszination dieser neuen Anwendung ihren Kontrapunkt erzeugt hat: Weltbekannte IT-Expert:innen und selbst die Entwickler:innen von ChatGPT selbst warnen vor den negativen Folgen der Künstlichen Intelligenz, die in ihren Auswirkungen und Konsequenzen selbst mit weltweiten Pandemien oder der Atombombe verglichen wird. Und dies ist wirklich außergewöhnlich und tatsächlich mit der Kernkraft vergleichbar, wenn die Entwickler:innen selbst Angst vor ihren eigenen Erfindungen bekommen und nach staatlicher Regulierung rufen.

Lernzirkel "Netzchecker"

Die Faszination überwiegt

Aber bleiben wir mal bei der Gegenwart und dort überwiegt trotz aller Warnungen vor möglichen Arbeitsplatzverlusten eindeutig die Begeisterung über die überraschenden Ergebnisse beim Einsatz textbasierter Chatbots. Selbst ungeübte User:innen erhalten nach Eingabe weniger Begriffe komplette Vorträge für ihren Fußballverein oder spannende Märchen für ihre Kinder. Schüler:innen sowie Studierende können das Programm komplexe Aufgaben lösen oder sich bei der Problemlösung oder Themenfindung inspirieren lassen. Lehrkräfte und Referendar:innen erhalten nach wenigen Eingaben komplette Stundenentwürfe für unterschiedliche Fächer und fertige Arbeitsblätter für ihre Schüler:innen.

Inzwischen soll ChatGPT bereits das bayerische Abitur bestanden haben, das deutschlandweit als am anspruchsvollsten gilt. Inzwischen hat sich mit „Prompt Engineering“ sogar schon ein neues Berufsfeld entwickelt, geht es doch letztendlich darum, der Künstlichen Intelligenz möglichst exakt mitzuteilen, was man von ihr möchte. Nur dann ist das Programm in der Lage, bestmögliche Ergebnisse zu liefern.

Vom Alltag in die Schule

Was liegt näher, als dieses tolle neue Programm auch in der Schule zu nutzen? Die ersten Reaktionen seitens der Schulverwaltungen und Lehrerschaft waren verhalten, skeptisch und ablehnend. Einige US-Schulen haben den Einsatz von Chatbots schlichtweg verboten. Auch der deutsche Datenschutz hat schwere Bedenken.

Die aktuelle rechtliche Situation stellt sich wie folgt dar:

Wenn Lehrkräfte auf der absolut sicheren Seite sein wollen, dann dürfen sie einen Account bei OpenAI anlegen und diesen auf eigene Verantwortung in der Klasse für Demonstrationszwecke benutzen. Sie können ihren ChatGPT-Account auch ihren Schüler:innen zur Verfügung stellen, allerdings nur, wenn diese über 13 Jahre alt sind und die Nutzung über nicht-personalisierte Endgeräte erfolgt (vgl. Klicksafe). 

Dies gilt auch für andere textbasierte Chatbots und sonstige KI-Anwendungen. Sachsen wollte beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz an Schulen vorangehen und hat mit Area9 sogar ein eigenes System entwickeln lassen, dieses wurde dann aber vom Datenschutz zurückgepfiffen. Die italienische Regierung hatte die Nutzung von ChatGPT sogar für einige Wochen ganz untersagt.

Ob KI-Programme wie ChatGPT mit der europäischen Datenschutzgrundverordnung letztlich überhaupt in Übereinstimmung zu bringen sind, ist höchst fraglich. Die Forderung, dass alle Programme und Daten nur auf europäischen Servern liegen, kann man vielleicht noch erfüllen. Ob man im Nachhinein aber die Persönlichkeits- und Urheberrechte aller verwendeten Daten sicherstellen kann, ist höchst fraglich. Von daher könnte es sein, dass ChatGPT in der EU gänzlich verboten wird.

Sinnvolles Lernen mit KI

Andererseits macht sich die Schule lächerlich, wenn sie diese Klärung und die weitere Entwicklung aussitzt und abwartet. Schon jetzt haben offenbar Hamburger Abiturient:innen ChatGPT verbotenerweise in der Prüfung eingesetzt. In Kürze wird es völlig normal sein, dass Schüler:innen und Studierende bei der Aufgabenverarbeitung, für Referate, bei Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten KI-Programme verwenden. Und im Regelfall wird man die Mitwirkung der KI auch nicht erkennen, wenn die Bearbeiter:innen sich einigermaßen geschickt anstellen. 

Schulen und Hochschulen müssen sich daher zwangsläufig mit Künstlicher Intelligenz auseinandersetzen und die Schüler:innen und Studierenden aktiv mit KI-Programmen, ihren Möglichkeiten und Grenzen konfrontieren, um sie zu einem bewussten und reflektierten Einsatz dieser neuen Programme zu befähigen. Beispielhaft erfolgt dies im Projekt Netzchecker, in dem sich Auszubildende mit den Gefahren im Netz auseinandersetzen und Lernszenarien für andere Lernende entwickeln und erproben.

Wichtig ist die Botschaft: Die KI kann Lernen unterstützen, verbessern und beschleunigen, sie kann es aber nicht ersetzen. Es hilft dem oder der User:in nichts, wenn die KI eine Antwort ausspuckt, wenn er oder sie nicht weiß, ob die Antwort richtig ist und ob das überhaupt die Antwort auf seine oder ihre Frage ist. Wir müssen unsere Schüler:innen befähigen, kritisch, reflektiert und zielgerichtet mit KI umzugehen. Beispielhaft erfolgt dies im Projekt Netzchecker, in dem sich Auszubildende mit den Gefahren im Netz auseinandersetzen und Lernszenarien für andere Lernende entwickeln und erproben.

ChatGPT kann im Unterricht in vielfacher Weise sinnvoll eingesetzt werden (Tipps). Man kann es zum Recherchieren verwenden, zum Zusammenfassen von Inhalten, zum Darstellen von Sachverhalten aus verschiedenen Perspektiven, zum Entwickeln oder Reflektieren von eigenen Ideen, zum Vergleich mit Google- oder Wikipedia-Ergebnissen, zum Abwägen von Argumenten, zum Erstellen von Tabellen, zum Übersetzen fremdsprachlicher Texte, zum Vorbereiten von Präsentationen, Referaten oder Hausarbeiten usw. usf. Chat GPT generiert sogar Bilder und Programmsequenzen wie z.B. in JavaScript. Neue KI-Versionen können mit wenigen Begriffen komplette Webseiten oder Werbematerialien entwerfen und die Inhalte von Videoclips in Text umwandeln. Die zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten werden fast grenzenlos sein. Gerade deswegen ist es zwingend notwendig, im Unterricht nur sinnvolle und mehrwerthaltige KI-Tools einzusetzen, und dies in einer Weise zu tun, die die Schüler:innen zum kritischen und reflektierten Umgang mit KI-Anwendungen befähigt.

Nele Hirsch, die Top-Adresse für Mediendidaktik in Deutschland, schlägt hierzu den Dreischritt Erkunden, Reflektieren und Gestalten vor. Zahlreiche Autor:innen geben schon heute jede Menge Tipps, wie man ChatGPT pfiffig und variabel im Unterricht einsetzen kann. Das bislang umfangreichste Angebot für Lehrkräfte findet man derzeit auf der Lehrer:innenplattform Fobizz mit KI-Assistenzsystemen für Text, Bilder und Sprache (vgl. https://tools.fobizz.com/). Dort gibt es inzwischen sogar KI-Klassenräume, in denen Lehrkräfte datenschutzkonform mit ihren Schüler:innen arbeiten können (die Arbeitsergebnisse werden 24 Stunden später automatisch wieder gelöscht!).

Lehrer-Online bietet eine fertige Unterrichtseinheit zur Einführung in ChatGPT und in Künstliche Intelligenz mit Schwerpunkt "Deeper Learning". Pfiffige Lernideen werden in Kürze auch beim Landesmedienzentrum Baden-Württemberg erscheinen.

 

Unterrichtsvorbereitung

ChatGPT bietet den Lehrkräften eine wesentliche Erleichterung ihrer Arbeit. Ideen für Unterrichtsstunden, fertige Arbeitsblätter, ja ganze Lehrproben in Tabellenform werden von der KI in Minutenschnelle erstellt und müssen dann nur noch ergänzt und überarbeitet werden. Auch hierzu bietet eine Registrierung bei der Bildungsplattform Fobizz derzeit wohl die beste Unterstützung. Noch ambitionierte Kolleg:innen finden beim „AI Training Institut“ Gleichgesinnte (vgl. https://www.aitraining.institute/).

Ausblick

Die Künstliche Intelligenz wird Lernen genauso verändern, wie Internet und Smartphones dies getan haben. Man kann weder Kinder und Jugendliche noch Erwachsene vor dieser Entwicklung bewahren. Ein derartiger Versuch würde zudem das Gegenteil bewirken. Digitale Bildung muss daher diese neue Herausforderung so früh wie möglich annehmen, um die Menschen zu befähigen, sich in dieser neuen digitalen Welt selbstbestimmt zu behaupten.

Du willst mehr erfahren? 

Dann schau am 7. Juli von 13:00 bis 14:30 Uhr an der Beruflichen Schule 4 bei

"ChatGPT im Unterricht: Lernen im Zeitalter der KI" 

von kubiss.de, dem Kultur- und Bildunsserver für den Großraum Nürnberg, vorbei und tausche dich über die Zukunft der Bildung mit Expert:innen und Interessierten aus.

 

 

 

Peter Kührt

Lehrkraft, Autor, Fortbildner und Vorstand von kubiss.de e.V., eines gemeinnützigen Vereins, der seit 1998 den Nürnberger Kultur- und Bildungsserver kubiss.de betreibt.

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