Auf einmal digital

Peter Kührt darüber, wie Corona die digitale Schulbildung antreibt

Junge lernt am PC
© 2019 SELLWERK

27.04.2020, Uli Biella

Die Coronakrise hat Bildung von heute auf morgen komplett ins Netz verlagert. Wir haben mit Peter Kührt darüber gesprochen, wie aus dem Härtetest für digitale Bildung eine Chance werden kann.

Peter Kührt ist Studiendirektor, lehrt an kaufmännischen Berufsschulen und setzt sich seit mehr als 20 Jahren für digitale Schüler*innenprojekte ein. Beim Nürnberg Digital Festival ist er als Eventverstalter und den Digital School Days aktiv.

Peter Kührt
© 2020 Peter Kührt

Peter, denkst du die Coronakrise wird die – lange stiefmütterlich behandelte – digitale Bildung in Deutschland nachhaltig voranbringen?
Da bin ich mir absolut sicher. Man wird sich stärker an Vorreiter-Ländern wie Finnland oder Estland orientieren. Unter diesem Aspekt ist die Krise bestimmt positiv: Sie bringt Dinge voran, die ich seit ewigen Zeiten gerne haben möchte – dass wir umfangreiche Arbeitsmaterialien im Netz haben und die Schüler*innen selbstständig arbeiten.

Zeit wird es – Deutschland ist sowohl im Einsatz von digitalen Werkzeugen im Unterricht, als auch in der technischen Ausstattung an Schulen deutlich abgehängt. Obwohl das Thema digitale Bildung an Relevanz gewinnt…
Es wird langsam, aber die neuen Kolleg*innen sind auf jeden Fall IT-affiner. Wir arbeiten gut zusammen, haben viele Materialien im Netz. Und trotzdem: Mir liegt vor allem am Herzen, dass ich die Schüler*innen in offene Lernsituationen wie Freiarbeit schicke und da sind mir die Kolleg*innen oft noch zu zögerlich.

Durch Corona haben wir ja gerade die offene Lernsituation im Härtetest. Wie sind da deine Erfahrungen? Kommst du genauso gut voran wie im normalen Schulkontext?
Digitale Bildung alleine reicht eigentlich nicht. Sie ist nur zusätzlich und hängt stark davon ab, wie du vorher mit der Klasse gearbeitet hast. Wer aus dem Stegreif digital arbeitet, kann höchstens Arbeitsblätter zur Verfügung stellen und das war es. 
Ich persönlich merke jetzt keinen Unterschied, aber dazu musst du mit den Schüler*innen schon zwei, drei Monate genauso oder ähnlich gearbeitet haben. Wenn plötzlich alle aus dem Stand online arbeiten sollen, dann klappt das natürlich nicht. Das ist für Kolleg*innen, die das nicht gewohnt sind, ein ganz schöner Quantensprung.

Wie kann denn eine Verzahnung von digitalem und analogem Unterricht aussehen?
Für unsere Bank- und Versicherungskaufleute haben wir alle Arbeitsblätter, Videos, Audios und die dazugehörigen Lösungen im Netz. Im Prinzip könnten die einen ganzen Lernzielbereich drei Wochen lang alleine bearbeiten und ich stehe dann für Rückfragen zur Verfügung. Generell müsste man halt Unterrichtskonzepte im Netz haben, die auf Selbstlernen basieren, die aktuell sind, mit denen die Schüler*innen klarkommen. Aber das ist von der Vorbereitung her ein riesiger Aufwand. 

Ein Aufwand, den einzelne Lehrkräfte oder Fachbereiche kaum stemmen können. Funktioniert digitale Bildung also nur Schul- oder gar länderübergreifend?
Das wäre ideal. Im Prinzip ist ja das, was wir unterrichten, in ganz Deutschland ziemlich dasselbe. Mit einigen Abstufungen natürlich, aber im Prinzip schon. In Estland gibt es zum Beispiel landesweit solche Angebote. Wenn ich da gute Module hätte, mit denen sich Schüler*innen selbstständig den Stoff erarbeiten könnten, wäre das eine unheimliche Hilfe. Es müsste einen allgemeinen Server geben, auf dem diese Unterrichtsmaterialien liegen und auf den alle Lehrer*innen und Schüler*innen zugreifen können.

Eine Idee, die schnell an technischen Voraussetzungen scheitert – wie man ja gerade bei mebis gut sieht. Ein Server ist nur dann hilfreich, wenn er nicht ständig überlastet ist. Nicht nur das kann ein Problem sein, auch die technische Voraussetzung bei den Schüler*innen. Verschärft eine zunehmend digitale Bildung den Digital Divide nicht enorm?
Das ist bei anderen Schularten bestimmt ein Problem, bei uns in der Berufsschule sehe ich das eigentlich nicht.  Da ist die technische Ausstattung schon flächendeckend vorhanden. Aber das Serverproblem haben wir natürlich trotzdem. Das heißt dann ewig lange Ladezeiten bei größeren Projekten. Wir arbeiten deshalb viel im Intranet, damit wir nicht ständig mit wahnsinnigen Kapazitäten online sind.

Damit digitale Bildung nach Corona funktioniert, brauchen wir also bessere technische Strukturen und flächendeckend Lernangebote online?
Also es ist nicht so, dass wir – zumindest kann ich das für den Berufsschulbereich sagen - bei null stehen. Ich kann in diese Klagen nicht einstimmen für Nürnberger Schulen. Wir sind ziemlich gut ausgerüstet. Ein weiterer Schritt wäre, dass es mehr fertige Unterrichtskonzepte geben müsste, die gut didaktisch aufbereitet sind. Damit könnte man auch Lehrausfälle viel besser auffangen. Wenn ich beispielsweise den Stoff nur runterladen müsste und die Klasse dann selbstständig arbeiten kann. Der zweite Schritt wäre, dass die Lehrer*innen mit den Klassen kreativer, projektorientierter multimedialer arbeiten würden.  

Aber wälzt das nicht digitale Bildung auf engagierte Lehrkräfte ab, die mehr oder weniger unentgeltlich zusätzlich zur eigentlichen Unterrichtsvorbereitung Projekte konzipieren?
Naja wir müssen lernen, dass kreativ arbeiten auch was für mich als Lehrkraft bringt - ich kann mich stärker zurücknehmen, weil die Schüler*innen eigenständiger arbeiten oder man schafft andere Vorteile: Bei uns wollen zum Beispiel alle Buchführung unterrichten, das darf man aber nur, wenn man sich gleichzeitig mit EDV auseinandersetzt. Und wir haben knallhart die These aufgestellt: Ein Projekt, das nicht im Netz ist, das gab es nicht. Es ist ja so schade: Da gibt es schöne Projekte, die einfach in der Versenkung verschwinden. Natürlich ist das ein großer Aufwand, ich will das jetzt nicht bagatellisieren. Aber wenn ich mir schon die Arbeit mache, dann kann ich die Projekte doch so aufbereiten, dass andere Kolleg*innen davon profitieren. Dann ist das auch nachhaltig weniger Aufwand.

Ich investiere jetzt und profitiere langfristig vom Wissen der anderen?
Genau und indem man dann zum Beispiel Videos, die bei solchen Projekten entstehen, ins Netz stellt und als Material wieder für andere verfügbar macht. 

Das setzt aber voraus, dass ich als Lehrkraft Kompetenzen mitbringe. Nicht alle Kolleg*innen fühlen sich dazu berufen ein Video zu drehen. Fraglich ist auch, ob das notwendigerweise in die Kompetenzen von Lehrer*innen fallen muss.
Auf jeden Fall muss es mehr Fortbildungen geben – und die hätte es schon vor 20 Jahren gebraucht. Ich halte nichts von digitaler Bildung als Schulfach. Ich halte mehr davon, digitale Kompetenzen im Learning-by-Doing-Verfahren im alltäglichen Fachunterricht und Projekten zu erwerben. Lehrer*innen müssen mehr Instrumente an die Hand gegeben sowie aufgezeigt werden, wie sie IT-Tools und Projekte schnell und einfach umsetzen können. Wir müssen da Ängste abbauen und Lehrer*innen die Chance geben zu merken: Ich muss nicht alles können und Expert*in sein, ich muss vor allem anleiten. Außerdem muss es Lehrer*innen und Schüler*innen tatsächlich etwas bringen. IT darf kein Selbstzweck sein. Lösungen ohne konkreten Mehrwert sind sinnlos und werden auch nicht angenommen.

Uli Biella

Feuer & Flamme für Medienpädagogik und liebt es, andere für digitale Tools zu begeistern. Konzertenthusiastisch, naturverliebt, festivaleuphorisch, mit liebevollem Hang zum Trash.