VAG – Öffentlicher Nahverkehr im Digitalen Zeitalter

VAG-Bus in Nürnberg
VAG-Bus in Nürnberg
© 2018 Claus Felix / VAG

07.05.2019, Stephanie Dürrbeck & Jens Mertens

Beim Thema Digitalisierung denkt man sicherlich nicht zuerst an Busse und Bahnen. Doch schaut man genauer hin, erkennt man, dass gerade im öffentlichen Nahverkehr die Digitalisierung ein großer Treiber ist. Wie sich das äußert, was das für Betreiber und Fahrgäste bedeutet und wer davon profitiert – darüber haben wir mit Tim Dahlmann-Resing, Vorstand Technik und Marketing der VAG Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg, gesprochen.

Herr Dahlmann-Resing, einmal ganz platt gefragt: In welchen Bereichen spielen beim ÖPNV die Themen Vernetzung und Digitalisierung überhaupt eine Rolle? 

In vielen ganz unterschiedlichen Bereichen. Mit Blick auf den Kunden fängt das bei der Information unserer Fahrgäste an, geht über das Ticketing und hört bei speziellen Angeboten wie unserer Mitfahrer-App auf. Die Menschen organisieren ihr Leben heute in allen Bereichen immer mehr mit Smartphone und Tablet. Das Informationsverhalten hat sich drastisch geändert – und damit auch die Erwartung an uns als Verkehrsbetrieb. Am besten sollen alle Informationen mit nur einem Fingertipp zur Verfügung stehen.

Wie haben Sie darauf reagiert?

In den vergangenen Jahren haben wir bei der VAG die digitalen Informationsangebote auf der gesamten Reisekette massiv ausgebaut. Unsere Fahrgäste haben mittlerweile die Möglichkeit, jederzeit Echtzeitinformationen über ihr Smartphone abzurufen. Unter start.vag.de können sie nachschauen, wann genau die nächste Bahn oder der nächste Bus fährt und ob es auf der Linie eventuell Störungen gibt. Auch über Twitter werden Störungen veröffentlicht. Die dynamischen Anzeiger an den U-Bahn-Steigen der U2 / U3 (zukünftig auch U1) und an vielen Oberflächenhaltestellen zeigen nicht die Abfahrtszeit nach Fahrplan, sondern die Echtzeit an und informieren zudem über Änderungen und Störungen. Auch im Fahrzeug wird man über die Monitore mit Echtzeitinformationen versorgt: Vor Erreichen der nächsten Haltestelle mit Umsteigemöglichkeit wird in allen Bussen sowie bereits vielen Straßen- und U-Bahnen angezeigt, welche Linie dort wann abfährt. Der Fahrgast weiß also genau, wie viel Zeit ihm zum Umsteigen bleibt und kann eventuell spontan umdisponieren, wenn es aktuelle Änderungen gibt. Außerdem kann man sich auf unserer Homepage ein persönliches, ganz auf die eigenen Bedürfnisse zugeschnittenes Linien-Abo einrichten. Dann wird man per Mail über diese Linien und Haltestellen informiert.

So ein umfassendes digitales Informationsangebot muss aber ja auch erst einmal bedient und mit Daten versorgt werden. Wie kommen die Informationen denn am langen Ende bei den Fahrgästen an?

Das ist eine recht komplexe Angelegenheit. Die Entwicklung digitaler Informationsangebote stellt uns tatsächlich immer wieder vor neue Herausforderungen. Ältere und neue Systeme müssen miteinander verknüpft werden. Alle Daten aus allen Fahrzeugen müssen gesammelt, ausgewertet und aufbereitet werden, um dann auch für den Endkunden nutzbar zu sein. Dafür haben wir eine zentrale Datendrehscheibe entwickelt, an die alle Ausgabemedien angeschlossen sind.
Die Ausgabe von zielgerichteten Störungsinformationen an die einzelnen Kanäle erfolgt über unser System MISS (Multimediales Informations- und Servicesystem). Störungsinformationen, die dort eingegeben werden, verteilt das System an die unterschiedlichen Ausgabemedien und Kanäle. Unsere Mitarbeiter müssen nicht jedes digitale Fahrgastmedium einzeln bedienen und ansteuern, das erleichtert das Bestücken natürlich sehr. 

Und wie Sie schon sagten, der Bereich Information ist nicht der einzige in dem die Digitalisierung im ÖPNV voranschreitet. Wie äußert sich die Entwicklung denn in anderen Bereichen?

Um bei einem Bereich zu bleiben, der den Kunden ganz direkt betrifft, wäre hier das Ticketing zu nennen. Hier gibt es mit dem HandyTicket schon seit Jahren die Möglichkeit sich den Fahrschein direkt auf das eigene Smartphone zu holen, man hat so den eigenen Ticket-Automaten immer in der Hosentasche dabei und fährt mit dem HandyTicket auch immer günstiger als mit Einzelfahrschein. 
Außerdem haben wir vor kurzem für unsere Abo-Kunden ein eTicket eingeführt. Das heißt der Verbundpass und die Wertmarken aus Papier haben ausgedient. Alle relevanten Informationen werden auf der Chipkarte des eTickets gespeichert. Das eTicket ist der Beginn des Weges hin zu einem System, wo der Fahrgast sich gar nicht mehr aktiv um ein Ticket kümmern muss.

Noch einen ganz alternativen Weg an eine gültige Fahrkarte zu gelangen haben Sie ja auch schon erwähnt – ihre Mitfahrer-App. 

Ja, das ist ein deutschlandweit einzigartiges Angebot. Die Idee hinter der App ist einfach: Sie verbindet Fahrgäste, die noch kein Ticket haben, mit denen, die auf ihrer Fahrkarte eine sonst ungenutzte Mitnahmemöglichkeit haben. Fahrgäste, die eine Fahrkarte mit Mitnahmemöglichkeit haben und bei bestimmten Fahrten allein unterwegs sind, können in der App für diese Fahrten eine Mitfahrgelegenheit anbieten. Wer eine Mitfahrgelegenheit sucht, geht in die App und schaut nach, ob eine passende Mitfahrt angeboten wird. Der Kontakt zwischen Anbieter und Suchendem kommt direkt über die App zustande. Dabei werden übrigens keine personenbezogenen Daten abgefragt, beide Seiten arbeiten mit einem Avatar.

Das kommt bestimmt besonders bei jüngeren Fahrgästen gut an?

Das lässt sich im Endeffekt gar nicht genau sagen, da eben keine personenbezogenen Daten erhoben werden. Aber mit Sicherheit ist es wichtig und richtig, junge Menschen mit jungen, frischen Ideen und jungen Medien anzusprechen. Dazu ist eine App prädestiniert. Aber auch, dass unsere Busse seit dem Jahreswechsel alle mit WLAN ausgestattet sind und auch an den U-Bahnhöfen und Haltestellen das WLAN-Angebot ausgebaut wird, bietet unseren Fahrgästen einen echten Mehrwert und kommt gerade bei der jüngeren Zielgruppe gut an. Auch unser neuer U-Bahn-Zug, der G1, den wir auch im Rahmen der Webweek vorstellen, wird übrigens WLAN haben – als erster U-Bahn-Zug deutschlandweit. Und auch die Straßenbahn wird in den nächsten Jahren im Zuge der Fahrzeugmodernisierung sukzessive mit WLAN ausgestattet.

Wir haben jetzt viel über die Fahrgäste gesprochen. Aber sicherlich spielt die Digitalisierung im ÖPNV auch im Betrieb eine wichtige Rolle?

Selbstverständlich. Wenn man sich alleine vor Augen führt, dass wir in Nürnberg seit zehn Jahren eine vollautomatisierte U-Bahn betreiben – ohne Vernetzung und Digitalisierung wäre das unmöglich. Auch die Betriebsüberwachung- und Steuerung in unserer Leitstelle wäre ohne Digitalisierung kaum zu leisten. Für schnellere und kürzere Kommunikationswege zu unseren Fahrern, planen wir, diese mit Tablets auszustatten. 

Eine Frage zum Schluss: Wie geht es weiter? Wie sehen Sie die digitale Zukunft im ÖPNV?

Die Digitalisierung und insbesondere das autonome Fahren werden die (öffentlichen) Verkehrsunternehmen und deren Geschäftsmodelle weiter verändern. Dabei bestehen Chancen und Risiken. Bereits heute sind wir ein kompetenter Mobilitätsdienstleister, dem die Kunden vertrauen. Diese Chance wollen wir nutzen und uns beispielsweise frühzeitig in der Entwicklung und Einführung von Mobilitätsplattformen engagieren, also der Vernetzung von klassischem Linienverkehr mit Sharing-Modellen und individuellen Angeboten. Dies ist sicherlich eine langfristige Aufgabe, aber dadurch können wir auch für die Zukunft den ÖPNV als Rückgrat der umweltverträglichen Fortbewegung etablieren und stärken.